Das Märchen vom Ritter mit der unverwundbaren Rüstung / Ab 10 Jahren

Methode für die Jungenarbeit

Alter: ab 10 Jahren
Gruppengröße: maximal 20
Zahl der benötigten Helfer: keine
Dauer der Aktion: mind. 45 Minuten
Material: großes Papier (Flipchart), Stifte

Ziel: Wahrnehmen von Gefühlen, Gerechtigkeit und Solidarität, Hilfegeben
Es soll bewusst werden, dass
– Gefühle sehr beängstigend sein können.
– Menschen sich manchmal in ausweglosen Situationen befinden können, in denen sie Hilfe benötigen.
– sie anderen Menschen Hilfe anbieten können, damit in scheinbar ausweglosen Situationen jemand für sie eintritt und ihnen Mut macht.
– Jungen/Männer so erzogen werden, dass sie das Gefühl haben, die Hilfe anderer nicht zu benötigen.
– Jungen/Männer häufig nicht als hilfsbedürftig gesehen werden und deshalb keine Hilfsangebote bekommen.
– Jungen/Männer häufig nicht über ihre Gefühle sprechen können.

Deshalb „fressen“ sie diese in sich hinein und verdrängen sie. Sie
legen sich eine gefühlsmäßige „Rüstung“ an, aus der sie nicht mehr
herauskommen und die sie von anderen Menschen trennt.

Umsetzung: Die Geschichte (siehe unter Sonstiges) wird vorgelesen
und anschließend unter folgenden Gesichtspunkten besprochen:
– Was ist gemeint, wenn der Ritter sein „Reich“ verteidigt?
– Was symbolisiert die „Belagerung“?
– Warum war der Prinz ganz auf sich allein gestellt?
– Was könnte mit den „dunklen Horden“ gemeint sein?
– Was veranlasst den Prinzen, sich eine Ritterrüstung zuzulegen und was will er damit bezwecken?
– Warum fehlte ein Öffnungsmechanismus und was unternimmt er dagegen?
– Was glaubst du, führte dazu, dass der Ritter ganz einsam und allein und ohne Freunde im Leben steht?
– Warum hat dem Prinzen niemand geholfen?
– Gibt es Hilfe für ihn?
– Wen hätte er um Hilfe bitten können?
Variationen:
– Schreibe die Geschichte so um, dass sie ein gutes Ende nimmt.
– Male den Ritter in seiner Rüstung.
– Drücke mit Farben und Formen die Gefühle des Ritters aus.
– Zeige mit deinem Körper, wie sich der Ritter fühlt.

Sonstiges: Das Märchen vom Ritter mit der unverwundbaren Rüstung von Werner Rebel
Es war einmal, vor langer, langer Zeit, ein kleines Königreich, das von den dunklen Horden des bösen schwarzen Ritters angegriffen wurde. Die Lage war verzweifelt, und das kleine Königreich wäre beinahe untergegangen, wenn nicht durch Zufall einer der Prinzen, die dieses Königreich regierten, eine sagenhafte Entdeckung gemacht hätte. Die feindlichen Heerscharen hatten längst schon die Grenzen des Reiches überschritten, nachdem sie durch eine üble Täuschung die Grenzwächter überwältigt hatten.

Nun lagen sie vor den Toren der Palaststadt und riefen dem Prinzen täglich aufs Neue ihre Schmähungen zu. „Keiner deiner Nachbarn hilft dir!?“, riefen sie und: „Niemandem liegt etwas an dir! Gib endlich auf!“ Die Lage war unhaltbar geworden, und der Prinz war drauf und dran, den Belagerern zu glauben. Schließlich hatte auf seine Signale und Boten, die er ausgeschickt hatte, keiner der vermeintlichen Vertrauten reagiert. So waren der Prinz und sein Reich ganz allein auf sich gestellt, dem Untergang geweiht, wenn nicht der Zufall mit jener sagenhaften Entdeckung zu Hilfe gekommen wäre. Der Prinz, der leidenschaftlich gerne bastelte, hatte eine neue Ritterrüstung konstruiert. Sie war schon fast fertig, aber noch nicht getestet. Er war sich sicher, dass sie ihren Träger unverwundbar machte. Genauso sicher war er aber auch, dass irgendwas noch fehlte, und deshalb hatte er sie auch noch nicht ausprobiert. Als nun der Prinz sah, dass die feindliche Horde sich anschickte, auch den letzten Schutzwall vor dem innersten Palast zu überrennen, entschloss er sich, diese Geheimwaffe ungetestet einzusetzen. Er stieg in die tiefen Gewölbe hinunter, in denen er seine Werkstatt hatte und legte sorgfältig die Rüstung an. Dann holte er seine Waffen und ging zum Tor. Die Wirkung war verblüffend: Kaum hatten ihn die Feinde in seiner neuen Rüstung gesehen, liefen sie schreiend davon. Ab und an wurde er noch angegriffen, aber seine Rüstung ließ alles abprallen. Ob Schwert oder Speer, kein Beil, kein Pfeil konnten ihm etwas anhaben. Die Schlacht war geschlagen und sein Königreich wieder frei. Der Prinz konnte es kaum fassen.

Nach den Feierlichkeiten anlässlich der Befreiung wollte der Prinz ein Bad nehmen und die Rüstung ablegen. Schon bald merkte er, dass ihn sein Gefühl nicht betrogen hatte. Er hatte vergessen, einen Öffnungsmechanismus einzubauen. Soviel er sich auch bemühte, er konnte die Rüstung nicht mehr ablegen. Weil das Material unzerstörbar war, ließ sie sich auch nicht gewaltsam öffnen.
Er verbrachte Tage, Wochen, ja sogar Jahre damit, die Rüstung loszuwerden, aber alles war vergeblich. Allmählich begann der Prinz sich daran zu gewönnen, dass er zwar ohne weiteres glühende Kohlen im Herd wenden konnte, aber beim Streicheln einer Katze nichts verspürte. Es hatte durchaus Vorteile, unverwundbar zu sein und der Prinz kam sich manchmal sehr stark vor. Aber manchmal fühlte er sich darin auch wie ein armes Würstchen in der Dose und eines Tages bemerkte er, dass er keine Freunde mehr hatte.
Die Rüstung hatte sich wie eine Mauer zwischen ihm und den Rest der Welt gelegt.